Wie sich der heutige Antisemitismus zeigt

Levin: Die erste Frage, die ich mir gestellt habe, ist: Was sind emanzipatorische Subkulturen? Welche konkreten Beispiele fallen euch dazu ein?

Nicholas: Wir wollten im Grunde verstehen, wie es kommt, dass ausgerechnet Leute oder Gruppen, die sich eigentlich für die Guten halten – die sehen sich auf der richtigen Seite der Geschichte, die sind progressiv, viele verstehen sich als links oder liberal –, sich immer wieder antisemitisch oder judenfeindlich äußern. Der Begriff „Emanzipation“ hat auch viel mit Befreiungskämpfen zu tun. Also zunächst zum Beispiel feministische Bewegungen, die für das Wahlrecht für Frauen gekämpft haben, später aber auch die schwarze Bürgerrechtsbewegung. Und das ist der rote Faden durch diese Szenen, die wir in unserem Buch beschreiben. Die alle wollen in irgendeiner Weise für eine bessere, fairere Gesellschaft kämpfen, nur haben sie immer wieder einen blinden Fleck, und zwar wenn es um das Thema Antisemitismus geht. Was wir mit dem Buch fordern ist, dass sie wenigstens konsequent sind und auch Judenhass berücksichtigen, wie sie es mit Sexismus oder Queerfeindlichkeit tun.

Stefan: Beispiele für emanzipatorische Bewegungen, die wir angeschaut haben, sind Fridays for Future und die queere Bewegung. Wir betrachten auch die Klubkultur, HipHop, Hardcore und Punk. Außerdem nehmen wir feministische und antirassistische Bündnisse in den Blick.

Levin: Ihr hattet bei der Buchvorstellung darüber geredet, dass es berechtigt ist, Israel für sein Handeln zu kritisieren. Doch ab wann überschreitet „Israel-Kritik“ die Grenze zum Antisemitismus?

Nicholas: Es kommt darauf an, was genau kritisiert wird. Kritisiert man die Handlung dieser oder jener israelischen Regierung, ist man konkret und sachlich mit der Kritik und kann man diese mit der Kritik von anderen Ländern und Regierungen vergleichen? Oder hat man es mit einer sehr einseitigen Dämonisierung zu tun, die immer wieder bestimmte Metaphern benutzt, welche aus der langen Geschichte des Antisemitismus bekannt sind? Zum Beispiel die Israelis als Teufel, als Ratten oder der einzige jüdische Staat der Welt als eine Art dämonisches Land, das der Inbegriff des Bösen ist. Es kommt immer auf die Frage an, wie man kritisiert, mit welcher Wortwahl, ist es angemessen für die Situation? Oder hat es etwas mit einer pauschalen Ablehnung des Staates zu tun? Sehr oft hört man den Begriff „Israelkritik“. Es geht nicht darum, irgendetwas bestimmtes zu kritisieren, sondern an sich, die bloße Existenz, allein dadurch, dass es diesen einzigen jüdischen Staat der Welt gibt.

Stefan: Ein praktisches Werkzeug, um herauszufinden ob meine Israelkritik nicht doch Antisemitismus ist, ist der sogenannte 3D-Test. Die drei D‘s stehen für Dämonisierung, doppelte Standards und Delegitimierung. Sprich wird Israel dämonisiert, also als das ultimativ Böse dargestellt, als Wurzel allen Übels. Bei den doppelten Standards ist die Frage, ob an Israel andere Standards angelegt werden als an andere Länder. Und die Delegitimierung ist die Infragestellung des Existenzrechts von Israel als solches, als Land. Wenn das zutrifft, wenn diese D‘s da irgendwie drin sind, in der Israelkritik, dann ist sie eben doch antisemitisch.

Levin: Reicht ein D oder müssen es alle drei sein?

Stefan: Das würde ich unterschiedlich bewerten, es kommt drauf an. Wenn ich das Existenzrecht Israels abspreche, dann ist es eben schon in der Regel antisemitisch. Und genauso auch bei der Dämonisierung. Also ja, es reicht auch schon ein D. Je mehr D‘s, desto problematischer.

Milan: Wo liegt der Unterschied zwischen dem Antisemitismus von 1933 und heutzutage?

Nicholas: Antisemitismus fängt nicht erst bei Auschwitz an. Ich glaube, viele Leute denken an eines der schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte gegen Juden und denken, dass alles was drunter fällt nicht antisemitisch ist. Seit dem Nationalsozialismus wollen die allerwenigsten Antisemiten sein. Erwiesene Rechtsextreme sind vor Gericht gezogen, um sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus zu verteidigen. Das bedeutet, dass heutzutage der Antisemitismus oft Umwege sucht. Man redet heutzutage ungern oder nicht so offen über „die Juden“. Das heißt aber nicht, dass man nicht auch antisemitisch ist. Heutzutage wird zum Beispiel wahlweise von den bösen Israelis oder von den Globalisten oder Zionisten schwadroniert. Und in allen Fällen sind diese Begriffe oft stellvertretend für „die Juden“, gemeint ist aber dasselbe. Also oft diese Narrative, die Juden seien besonders rachsüchtig, hinterlistig, verfolgen einen bösen Plan. Das gab es schon bei den Nazis, das sieht man aber heutzutage in anderer Form. Wenn man zum Beispiel sagt, die Zionisten seien all diese Dinge und mehr.

Stefan: Genau, und Antisemitismus fängt eben, wie gesagt, nicht bei Auschwitz an, auch weil der moderne Antisemitismus, den wir heute erleben oder auch dieser eliminatorische Antisemitismus der Nationalsozialisten baut auf dem Antijudaismus auf. Er ist sozusagen eine „logische“ Schlussfolgerung aus dem Antijudaismus des Christentums, den es schon seit über 2000 Jahren gibt. Die ersten belegten größeren Pogrome gegen Juden waren tatsächlich christliche. Und zwar zu dem Zeitpunkt, als das Christentum römische Staatsreligion geworden ist, gab es kurze Zeit später das erste Pogrom im heutigen Syrien. Dieses basiert auf einer Erzählung, die genau die gleiche ist, wie wir sie heute noch hören. Nämlich die Behauptung, dass Kinder ermordet worden seien. Und die Person, die damals dazu aufgestachelt hat, war der Bischof von Rakka. Also eine sehr hohe Person in der Kirchenhierarchie, der bis heute als Kirchenvater gilt, also als ganz zentrale Figur in der katholischen Kirche, verantwortlich für das erste jüdische Pogrom.

Maja: Seht ihr Unterschiede des Antisemitismus seit dem siebten Oktober?

Nicholas: Eine große Erscheinungsform von Antisemitismus seit dem siebten Oktober ist aus meiner Sicht vor allem eine fehlende Empathie. Zum Beispiel wenn israelische Zivilisten angegriffen werden, wenn sie gefoltert werden oder als Geiseln nach Gaza geschleppt werden oder einfach nur ermordet werden, darunter auch israelische Frauen und Kinder. Wenn man nicht in der Lage ist, irgendein Mitleid mit denen zu zeigen, nur weil die Israelis oder jüdisch sind, dann ist das für mich schon Antisemitismus. Und diese fehlende Empathie hat mich ziemlich überrascht. Ich hätte gedacht, dass bei so einem schlimmen Massaker, wie es die Hamas am siebten Oktober angerichtet hat, viel mehr Leute Anteilnahme, Solidarität oder auch Verständnis zeigen würden. Aber klar wurde: Für viele Leute ist und bleibt Israel der Endgegner und immer Täter, niemals Opfer und das finde ich sehr problematisch.

Stefan: Ja, und vor allen Dingen eben, wenn man mit Blick auf diese Szenen, die wir anschauen, also auf die emanzipatorischen Szenen, wo es sehr wichtig ist, den Opfern zuzuhören und auch den Opfern generell so zu glauben. Beispielsweise, wenn es um sexualisierte Gewalt, um sexuellen Missbrauch geht, dann ist es selbstverständlich für uns in diesen Szenen, dass man sagt: Natürlich glauben wir den Frauen, denen das passiert ist und die das sagen. Aber es zeigt sich, wir glauben diesen Frauen scheinbar nur so lange, dass es keine Jüdinnen sind. Denn wenn es um sexualisierte Gewalt der Hamas geht, dann wird es in Frage gestellt, was die betroffenen Frauen erzählen und das, finde ich, ist eine Schande.

Levin: Wir sind ja eine Schülerzeitung. Wie können Schulen gegen einen solchen Antisemitismus vorgehen?

Nicholas: Ich glaube, Bildung ist natürlich sehr wichtig. Sich mit der Thematik auseinandersetzen, vielleicht auch Bücher oder Zeitungsartikel zum Thema Antisemitismus lesen. Ich glaube, viele meinen ganz genau aus dem Bauchgefühl heraus zu wissen, was Antisemitismus ist und was nicht, aber das alleine reicht nicht aus. Man muss sich ernsthaft mit der Materie auseinandersetzen und im besten Fall auch das Gespräch suchen, falls ihr jüdische Kommilitonen habt. Gleichzeitig ist es auch wichtig zu betonen, dass das für viele Juden ein sehr sensibles Thema ist, also niemand schuldet euch eine Antwort und es kann vielleicht auch unpassend sein, jüdische Kommilitonen aufzufordern, euch plötzlich über Antisemitismus aufzuklären. Also natürlich nur, wenn das von denen auch gewollt ist. Aber es gibt auch viele Möglichkeiten in Kontakt und ins Gespräch zu kommen mit der jüdischen Community in Deutschland.

Stefan: Und ich glaube, wichtig ist auch zu erkennen, dass Antisemitismus, der Hass auf Juden, ein komplexes Thema ist. Genauso ist der sogenannte Nahost-Konflikt, also der Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern ein komplexes Thema. Ich finde es super wichtig, sich diese Komplexität nicht ausreden zu lassen. Denn das ist, glaube ich, so eine Sache, die viele Aktivisten versuchen. Das versucht wird zu sagen: „Das ist eigentlich gar nicht so kompliziert, da gibt es nur die Guten und da gibt es nur die Bösen. Und die Guten, das sind die Palästinenser und die Bösen, das sind die Israelis“. Und so einfach ist die Geschichte einfach nicht. Das ist, glaube ich, total wichtig und da kann ich auch nur nochmal bekräftigen, was Nicholas gesagt hat. Es geht da auch um so eine Informations- und Medienkompetenz. Es ist wichtig, auch mal Theorie zu lesen oder auch mal einen Text zu lesen. Die Informationen, die man selber konsumiert, nicht so verkürzt zu konsumieren. Klar kann man auch Inspiration in vielen Dingen finden, auf Instagram, auf TikTok oder wie auch immer. Aber ich glaube, man muss einfach sehen, dass viele Informationen, die man da hat, oft ein bisschen verkürzt sind und einfach nicht das ganze Bild zeigen. Ich glaube, gerade wenn man auf diesen Konflikt und auf Antisemitismus schaut, ist es wichtig, ein großes Bild zu haben, um sich eine Meinung bilden zu können.

Levin: Wir bedanken uns bei Stefan Lauer und Nicholas Potter für das Interview.

 

Das Parteienverbot – Eine Erscheinung der Neuzeit?

In den letzten Monaten wurde in Bezug auf rechtsextreme Äußerungen von AfD-Mitgliedern immer wieder über ein Parteienverbot diskutiert. Doch wo hat es seinen Ursprung?

Es wird in Diskussionen immer wieder aufgezeigt, dass das Parteienverbot ein Zeichen der neuen, wehrhaften Demokratie sei. Doch ist es eine neue Erscheinung? Dem kann man getrost entgegnen: „Nein!“ Die ersten Ansätze gehen bereits auf das Jahr 1878 zurück, in dem Otto von Bismarck das sogenannte Sozialistengesetz verabschiedete. Dabei handelte es sich um ein Gesetz, welches Versammlungen und insbesondere Parteien mit sozialistischem Hintergrund verbot. Das Gesetz wurde zwar aufgehoben und die Parteien formierten sich erneut, jedoch wird es auch von Deutschlandfunk Kultur als erster Ansatz eines Parteienverbots gesehen. Das „Sozialistengesetz“ hatte zwar keine Beständigkeit und führte am Ende zu Bismarcks Abdanken, jedoch zeigte es zum ersten Mal eine realistische Umsetzungsweise eines Parteienverbots.

Dieser Gedanke blieb erhalten. In der Weimarer Republik wurde er dann zu einer tatsächlichen Wirklichkeit. Parteien konnten rechtskräftig verboten werden, jedoch behielten die gewählten Kandidaten der Parteien ihren Platz im Parlament, als gewählte Vertreter des Volkes. Was keiner der damaligen Gesetzeshüter ahnen sollte war, dass das Parteienverbot noch eine prominente Stellung einnehmen würde. Nach dem Hitlerputsch 1923 wurde die NSDAP verboten, jedoch gab es eine Schwachstelle: Die Parteienverbote hatten bundesweit keine Gültigkeit. So gelang es der NSDAP, das Parteienverbot auf geschickten Wegen zu umgehen. Mit der Auflösung der Gewaltenteilung gelang es der NSDAP später, alle Parteien zu verbieten – außer sich selbst.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Angst vor einer erneuten Machtübernahme konkret benannt und bearbeitet, indem ein bundesweit gültiges Parteienverbot eingeführt wurde. Somit erhielten wir das heute gültige Gesetz zum Parteienverbot. Doch wie sieht es aus?

Nach Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes Parteien für verfassungswidrig erklärt, wenn sie “[…] darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden”. Dazu reicht es nicht, dass sich lediglich die Meinung gegen die Verfassung richtet. Sie muss „vielmehr planvoll das Funktionieren der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigen wollen“, so das Bundesministerium des Innern und für Heimat. Sollte dies festgestellt werden, kann ein Verbotsverfahren vom Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung beantragt werden. Dieses wird anschließend vom Bundesverfassungsgericht geprüft, sodass nach Feststellung der Richtigkeit des Antrages die Partei verboten wird. Bei einem Parteiverbot verlieren die Abgeordneten der Partei ihre Sitze, welche danach unbesetzt bleiben.

Schlussendlich lässt sich nach dem Festgestellten sagen, dass das Parteienverbot sowohl zum Schutz, als auch zum Sturz der Demokratie verwendet wurde. Aber gleichzeitig können wir darlegen: Das Parteienverbot ist keine Erscheinung der Neuzeit.

Thomas Röwekamp, wie wird man Bundestagsabgeordneter?

Drei Schülerzeitungsredakteur/innen konnten Thomas Röwekamp einige Fragen stellen. Er ist Abgeordneter der CDU und für Bremen im Bundestag und ist im Verteidigungsund Untersuchungsausschuss Afghanistan tätig und Berichterstatter für alle maritimen Themen.

 

Schülerzeitung: Stellen Sie sich bitte einmal vor.

Thomas Röwekamp: Mein Name ist Thomas Röwekamp, ich bin 57 Jahre alt, verheiratet, drei erwachsene Kinder, die alle noch in der Ausbildung sind, wohne in Bremen und bin für die Bremer CDU der einzige Bundestagsabgeordnete. Ich bin Mitglied im Verteidigungsausschuss, Berichterstatter für alle maritimen Themen, aber auch im Untersuchungsausschuss Afghanistan. In meinem zivilen Leben bin ich Rechtsanwalt.

Warum sind Sie Politiker geworden?

Das ist schon lange her, aber ich erinnere mich noch genau: Ich habe mich über meine Arbeit in der Schülervertretung für Politik interessiert. Damals gab es eine Menge schulpolitische Themen, insbesondere Schulschließungen in Bremerhaven waren damals ein Thema. Dann gab es eine Reform der gymnasialen Oberstufe, es gab die sogenannte Orientierungsstufe und es gab unterausgestattete Bildungsinfrastrukturen. So bin ich über die Bildungspolitik in die Politik gekommen. Über die Arbeit in der Schülervertretung wollte ich dann einer Partei beitreten und mich orientieren. Ich habe mich umgehört, welche Partei am ehesten in Frage kommt und so bin ich zur CDU gekommen.

Was machen Sie als Bundestagsabgeordneter?

Es gibt eigentlich drei Tätigkeiten. Die eine ist, dass ich Vertreter der beiden Wahlkreise Bremens im deutschen Bundestag bin.

Das zweite Thema ist, dass ich Politik auch so verstehe, dass man eine fachliche Zuständigkeit hat. Bei mir ist es der Verteidigungsausschuss und im Verteidigungsausschuss sind es eben bestimmte Themen. Ich bin Berichterstatter für alles, was die Marine betrifft, ich kümmere mich da allerdings auch um regionale Themen, ich bin zum Beispiel Berichterstatter für den Nahen Osten und deswegen gerade sehr viel mit dem Thema Angriff der Hamas auf Israel beschäftigt. Es gibt bestimmte Themen, wo ich sage, da bin ich Bundestagsabgeordneter, da bin ich nicht nur für meinen Wahlkreis verantwortlich und verpflichtet, sondern habe eine nationale Aufgabe. Und ich verstehe mich auch als Mittler, also alles, was hier in Berlin passiert, worüber die Menschen reden, das auch nach Bremen zu transportieren und an Veranstaltungen teilzunehmen, meine politischen Überzeugungen zu vertreten, dafür zu werben aber auch andere Politikfelder zu erklären und umgekehrt natürlich die Anliegen, die an mich herangetragen werden, entsprechend hier in Berlin weiterzutragen und mich darum zu kümmern.

Wie wird man Bundestagsabgeordneter?

Formal gibt es einen Weg. Es steht jedem volljährigen Deutschen frei, sich für den deutschen Bundestag zu bewerben. In der Regel geht das über politische Parteien. Wir in Deutschland haben uns mit dem Grundgesetz bewusst für eine sogenannte Parteiendemokratie entschieden. Das heißt, die Parteien wirken an der Willensbildung in politischen Fragen mit und sind ein Teil unserer Institution. Deswegen ist der erste Schritt, wenn man sich politisch engagieren will, dass man eine Partei findet. Dann kann man sich in der Partei engagieren und sich um Mandate bewerben. Aber am Ende stellen immer Parteien Kandidatenlisten auf, sowohl für den direkten Wahlkreis als auch für die Liste der jeweiligen Partei für Wahlen und darum kann man sich bewerben. Wenn man parteiintern ausgewählt ist, bemüht man sich eben, im Wahlkampf, im Wettbewerb mit den Vertretern der anderen Parteien, um das Mandat und wenn das dann erfolgreich ist, wird man Abgeordneter.

Was verdient ein Bundestagsabgeordneter und wie unterscheiden sie sich zwischen verschiedenen Abgeordneten bzw. wie wird das festgelegt?

Die Entschädigung für Bundestagsabgeordnete orientiert sich an der Entschädigung für Richterinnen und Richter an obersten Gerichten. Das ist eine bewusste Entscheidung gewesen, dass man gesagt hat, das sind ja unterschiedliche Gewalten und das soll sich irgendwie im Kräfteverhältnis widerspiegeln und deswegen ist die Vergütung ähnlich geregelt. Zurzeit verdient ein Bundestagsabgeordneter Brutto ungefähr 10.600 Euro im Monat. Und danach bekommt man noch eine gewisse Infrastruktur bezahlt, also Geld für Mitarbeiter, Büroausstattung und einen Mehraufwand, weil man einen zweiten Wohnsitz in Berlin hat.

Wie oft sind sie in Berlin?

Im Prinzip jede zweite Woche. Wir haben immer Sitzungswochen und sitzungsfreie Wochen. Das soll ermöglichen, dass in unserem System, wo Abgeordnete einerseits die Aufgabe haben, sich hier in Berlin in den Gremien, im Bundestag, in den Ausschüssen um die inhaltliche Arbeit zu kümmern. Es soll aber auch die Bindung der Abgeordneten aus der Gegend, aus der sie kommen, stärken und deswegen gibt es immer eine Sitzungswoche in Berlin, in der alle Sitzungen sind, das Plenum und parallel die Ausschüsse tagen und es gibt die Arbeitsgruppensitzungen. So eine Woche wechselt sich dann mit einer Woche ab, die man frei hat und im Wahlkreis unterwegs ist. In meinem Fall eben Bremen, man hat da Termine und kümmert sich um seine Aufgaben.

Die Interviewer zusammen mit Herrn Röwekamp vor der Kuppel des Bundestages.

Wie kommen Sie von Berlin nach Bremen?

Ich fahre beide Strecken nur mit dem Zug. Ich bin insgesamt glaube ich dreimal mit dem Auto gefahren, aber nur, weil wir die Möbel und so hin und her transportieren mussten, als wir in Berlin eine Wohnung gesucht haben.

Sie waren Senator für Inneres und Sport in der Landesregierung von Bremen. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht und wie hat das sich auf Ihre politische Laufbahn ausgewirkt?

Das ist die dritte Säule, die Exekutive, also die Seite der Verwaltung. Das ist schon eine wichtige Erfahrung für mich gewesen, weil man auf der einen Seite natürlich das kennt, was man kontrolliert. Abgeordnete haben auch den Auftrag, das, was die Regierung macht, zu kontrollieren, dazu Verbesserungsvorschläge zu machen, sich dazu eine Meinung zu bilden und der Regierung Aufträge zu geben, worum sie sich kümmern soll. Wenn man dann einmal auf der anderen Seite gewesen ist und sozusagen weiß, was da für Aufträge kommen und wie die verarbeitet werden, das macht das Wissen breiter. Das zweite ist, dass das natürlich eine bestimmte Führungserfahrung ist. Wenn man einmal Senator gewesen ist, hat man auch personelle Verantwortung gehabt für einige tausend öffentlich Beschäftigte, also all diese Themen, mit denen sich eben ein Regierungsmitglied beschäftigen muss. Und das ist ein breiter Erfahrungsschatz, man weiß, wie Behörden funktionieren, kennt bestimmte Sachverhalte und die Quellen. Es hat sich auf jeden Fall für mich gelohnt, das waren vier wertvolle Jahre.

Sie waren auch stellvertretender Bürgermeister in Bremen. Wie ist die Arbeit in der Bremischen Bürgerschaft und wie unterscheidet sie sich genau von ihrer jetzigen Arbeit?

Die Arbeit im Landtag ist von der Grundstruktur der Aufgaben die gleiche. Man muss allerdings sagen, dass die Themen andere sind. Im Landesparlament, in der Landesregierung geht es im Wesentlichen um lokale Themen, das Land ist nach dem Grundgesetz ja für bestimmte Bereiche zuständig, beispielsweise für Bildung, für innere Sicherheit, also Polizei und Verfassungsschutz und auch für soziale Daseinsfürsorge. Allerdings haben wir in Bremen 84 Landtagsabgeordnete, in Berlin sind wir 736. Das ist natürlich auch eine andere Dimension, man arbeitet hier auch anders. Alle Gremien sind größer, jeder Ausschuss ist größer, die Fraktionen sind größer, das Plenum ist größer, das ist eine andere Arbeitsatmosphäre. Was mich am meisten überrascht hat ist, dass es hier in Berlin eine völlig andere Diskussionskultur gibt. Also in Bremen kenne ich das so, dass man im Parlament mit Rede und Widerrede um die besten Argumente streitet und auch ein bisschen versucht, den anderen zu überzeugen. Hier ist alles sehr formalisiert, in der Regel darf man drei Minuten reden, was natürlich oft eine sehr große Herausforderung ist.

Sie haben schon in vielen Projekten mitgearbeitet, auf welches sind Sie besonders stolz?

Ehrlich gesagt bin ich am meisten stolz auf den sogenannten Bremer Bildungskonsens. Ich habe ja vorhin über die Zeit erzählt, wo ich angefangen habe, mich politisch zu engagieren, da war Bildungspolitik stark ideologisiert. Da gab es eben diejenigen, die waren uneingeschränkt nur für die Gesamtschule und wollten alle Gymnasien abschaffen, möglichst lange gemeinsames Lernen. Und dann gab es welche wie wir, die gesagt haben, wir sind eigentlich im Prinzip für ein gegliedertes Schulsystem. Dann gab es immer unterschiedliche Regierungen und jede hat sich immer probiert und am Ende hatten wir in Bremen glaube ich vierzig unterschiedliche Schulformen. Und ich habe damals den Bremer Bildungskonsens initiiert, weil ich gesagt habe, ich möchte nicht länger über Strukturfragen streiten, sondern ich möchte gemeinsam dafür sorgen, dass wir einmal eine Struktur überparteilich verabreden und so dann eine bessere Schule organisieren. Und den haben andere Bundesländer teilweise nachgemacht und ich würde sagen, das ist etwas, wo ich besonders stolz drauf bin, weil es ihn heute noch gibt und wovon ich noch heute überzeugt bin, dass es gut ist, Bildungspolitik nicht mit ideologischen Scheuklappen zu machen, sondern das gemeinsam zu machen und darüber zu streiten, wie man eigentlich in der Struktur bessere Schule machen kann.

Was ist Ihrer Meinung nach momentan die größte Herausforderung in der Politik?

Also da würde ich jetzt mittlerweile zwei Dinge sagen.

Früher hätte ich immer gesagt: Bildung, Bildung, Bildung. Ich werbe sehr dafür, dass wir in Deutschland von diesem Bildungsföderalismus wegkommen, wo wir 16 unterschiedliche Systeme, 16 unterschiedliche Ausstattungen und leider am Ende eben auch 16 unterschiedliche Bildungserfolge in den Bundesländern haben. Ich glaube nicht, dass Kinder schlauer sind, weil sie aus einem bestimmten Bundesland oder gut situierten bildungsaffinen Familien kommen, sondern, dass alle Kinder unterschiedliche Begabungen und Fähigkeiten haben. Der Auftrag eines staatlichen Bildungssystems ist eigentlich, diese Talente zu erkennen und optimal zu fördern und sich bestmöglich um das Vertrauen der Schülerinnen und Schüler zu kümmern. Hinzu kommt, dass das Wissen in euren Köpfen die wichtigste Ressource ist, die wir in Deutschland haben, und wovon unsere ganze Leistungsfähigkeit abhängt. Deswegen finde ich das einfach verschwendete Energie, wenn wir das in 16 verschiedene Systeme zergliedern.

Das zweite ist, wir kommen aus einer langen Phase des Wohlstandes, des Friedens, der Demokratie und der Stabilität, in der ihr euch wahrscheinlich auch völlig frei einen Arbeitsplatz suchen könnt. Aus der kommen wir aber jetzt raus, weil wir merken, dass mit dem Krieg Russlands in der Ukraine, mit dem Konflikt im Nahen Osten, mit der Abhängigkeit von Lieferketten beim Gas, dass wir auch einen hohen Preis dafür bezahlt haben, dass wir immer in diesem Wohlstand gelebt haben und das wird nicht auf Dauer so weitergehen.

Deswegen glaube ich, ist die große Herausforderung an politische Entscheidungsträger, dass wir wieder Projekte priorisieren und sagen müssen, was uns das wichtigste ist und können nicht immer allen alles versprechen, sondern müssen ganz klar sagen, im Moment müssen wir in ein bestimmtes Projekt investieren, wie zum Beispiel Klimaschutz und dafür kommen andere leider zu kurz. Und man muss den Mut haben, Menschen zu sagen, was nicht geht.

Möchten Sie in Zukunft Bundestagsabgeordneter bleiben oder würden Sie zum Beispiel auch Minister oder Bundeskanzler werden wollen?

Ich bin mit Leib und Seele Abgeordneter. Ich war ja vier Jahre Senator, das war auch eine spannende Zeit. Aber ich liebe die Debatte und den Streit um die bessere Idee und den Parlamentarismus und das freie Wort, dass man für seine Überzeugung werben kann. Also ich bin, glaube ich, von meiner Veranlagung her geborener Parlamentarier.

Sie sind stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Klimaschutz und Energien. Denken Sie, dass Deutschland genug für den Klimaschutz tut?

Im Saldo ja, aber ich finde, dass es noch zu kompliziert ist. Das große Beispiel ist dieses Heizungsgesetz gewesen. Das will ich gerne zugestehen, dass aus einer gut verstandenen Motivlage heraus entstanden ist, dass man über die Wärmeerzeugung in privaten Haushalten reden muss, wenn man klimaneutral werden möchte und da gibt es effektivere Methoden, das zu tun. Das finde ich richtig, aber darauf ist ein so großes bürokratisches Monster gelegt worden, dass wir das Ziel am Ende aus den Augen verloren haben und die Leute waren nicht davon überzeugt.

Ich habe den Eindruck, dass die Menschen im Moment denken, man kann die Klimaziele erreichen, ohne dass sich für ihr individuelles Leben etwas ändert und das wird so nicht möglich sein. Wir können das schaffen, die Klimaneutralität, zumindest in Deutschland, zu erzeugen. Damit ist das Klima natürlich noch nicht gerettet, weil wir um uns herum Länder haben, die nicht so ehrgeizige Klimaschutzziele haben, aber ich glaube, in Deutschland können wir das schaffen, wenn die Leute davon überzeugt sind.

Und auch zu dem Thema, was halten Sie von Deutschlands Atomaustritt?

Ich bin davon überzeugt, dass es richtig war, damals nach Fukushima die deutschen Kernkraftwerke abzuschalten. Allerdings muss man mit dem Wissen von heute sagen, dass wir uns da eigentlich überfordert haben, weil wir aus der Kernenergie ausgestiegen sind und danach darüber geredet haben, dass wir auch aus der Kohle aussteigen müssen. Damit sind wir die einzige Volkswirtschaft weltweit, die auf zwei Energiequellen verzichtet hat. Aber das konnten wir nicht kompensieren, denn so schnell sind regenerative Energien nicht mitgewachsen. Deswegen würde ich sagen, mit dem Wissen von heute war es wahrscheinlich falsch herum. Wir hätten uns erst von der wesentlich umweltschädlicheren Kohle verabschieden müssen, um uns danach um den Atomausstieg zu kümmern.

Wenn es in Zukunft aber irgendwann eine wissenschaftliche Entwicklung gibt, die die Nutzung von Kernspaltung möglich macht ohne die Risiken, also insbesondere ohne das Endlagerproblem, bin ich dafür, dass wir sie auch nutzen.

Wenn sie jetzt alleine regieren könnten, was würden sie dann in der Politik verändern?

Ich würde auf jeden Fall mein Herzensprojekt angehen und sagen, wir müssen zu einer nationalen Anstrengung im Bereich Bildung kommen. Es muss sowas wie eine deutsche Bildungsoffensive geben, wo wir das machen, was wir eben besprochen haben

Das zweite ist, dass wir in der Europäischen Union mehr Gemeinsamkeit erzeugen in den zentralen Themen. Die Migration ist zum Beispiel in Deutschland eine große Herausforderung, wäre aber für alle europäischen Mitgliedsstaaten kein Problem.

Deswegen wäre mein zweites großes Projekt, wenn wir die absolute Mehrheit hätten, dafür zu sorgen, dass es mehr Gemeinsamkeit in Europa gibt.

Welche Stadt mögen sie lieber, Berlin oder Bremen?

Allein weil ich Fußballfan bin, mag ich Bremen lieber.

Ich muss schon sagen, Berlin hat auch etwas. Es ist natürlich wesentlich größer, es bietet viel mehr Kultur und Veranstaltungen und es ist schon eine tolle Stadt. Aber Bremen ist meine Heimat und dort fühle ich mich auch wohler. Ich bin auch mehr in Bremen als in Berlin. Also die Wochenenden in der Regel immer und die Sitzungsfreien Wochen auch.

Vielen Dank für Ihre Zeit.

EM 2024: Die Antwort auf Katar

Denken wir zwei Jahre zurück. Als die Fußball-Weltmeisterschaft in einem kleinen Land namens Katar stattfand, als es Public-Viewing auf Weihnachtsmärkten gab, als Deutschland in der Vorrunde ausschied und Menschenrechte mit Füßen getreten wurden. Dies alles soll bei der diesjährigen Europameisterschaft in Deutschland nicht passieren. Da ist ein guter Anfang, dass das Turnier im Sommer stattfindet. 

Der deutsche Fußballbund (DFB) hat mit der Europameisterschaft 2024 einiges vor. So zum Beispiel, dass diese die bisher nachhaltigste werden soll und dass man die europäische Verbundenheit stärken möchte. Das Turnier soll dabei nicht nur als schönes Sommerspektakel dienen, sondern neue Maßstäbe in Gebieten wie Nachhaltigkeit und Diversität bieten. Dabei soll die deutsche Europameisterschaft als globales Vorbild für andere große Turniere, wie auch die nächsten Weltmeisterschaften dienen.

Wenn man die Unterschiede zwischen der letzten Weltmeisterschaft und dieser Europameisterschaft nennen müsste, dann fällt als erstes auf, dass in Deutschland eine jahrhundertelange Fußballkultur mit großen Clubs und internationalem Ansehen besteht. Aus diesem Grund verfügt Deutschland schon über große Stadien, die in Katar erst von Gastarbeitern bei schlechtesten Arbeitsbedingungen gebaut werden mussten. Auch das politische Klima ist in Deutschland deutlich weltoffener. Um sich an den weltoffenen Zeitgeist anzupassen, soll beispielsweise das Essensangebot in den Stadien zusätzlich zu den bekannten Speisen, wie Bratwurst, um vegane oder vegetarische Alternativen erweitert werden. Generell sollen auch gesündere Angebote bestehen. Ein weiterer Gegensatz zur letzten Weltmeisterschaft ist, dass keine Bierverbot in Stadien besteht, was vor allem von Fanclubs kritisiert wurde. Ein Zigarettenverbot besteht, ähnlich wie in der Bundesliga, dennoch.

Ein weiterer Problempunkt an internationalen Turnieren in diesen Ausmaßen ist, dass die Nachhaltigkeit vernachlässigt wird. Während die Fifa dies bei der letzten Weltmeisterschaft damit abgetan hat, dass sie ja auch ein paar Bäume pflanzen. Bei dieser Europameisterschaft besteht ein ausführlicher Plan, wie man die Europameisterschaft direkt nachhaltiger gestalten kann. Eine Idee ist, dass Grauwasser auf Toiletten genutzt wird. Dies meint, dass Wasser mehrfach genutzt wird um Wasser zu sparen. Auch möchte man die Zeiten, in denen das Flutlicht an ist, reduzieren, um Strom zu sparen. Alle Produkte, die im Stadion angeboten werden, sollen auch verpackungsfrei sein, um weniger Müll zu produzieren und die Teams sollen zwischen den Spielen auf Verkehrsmittel wie Züge zurückgreifen, um Emissionen zu sparen. Auch bei der Anreise der Fans will man einen solchen Effekt erzielen, so werden Fußwege zu Stadien ausgebaut und die Anzahl der Fahrradstellplätze soll maximiert werden.

Ein weiterer Punkt in der Agenda für die „vorbildlichste EM“ ist die Diversität. An allen Spielorten sollen geschlechtsneutrale Toiletten bereitgestellt werden. Für den Fall der Übergriffigkeit und generell jede Art der Diskrimminierung sollen Meldestellen eingerichtet werden, damit alle sicher sind und sich auch sicher fühlen. Nachdem man zuletzt in Katar mitbekommen hat, wie man nicht vernunftgerecht auf das Einhalten von Menschenrechten achtet und wie man Menschen aufgrund von Geschlecht, Nationalität oder Sexualität ungleich behandelt, will man nun, dass gleiche Behandlung für Alle besteht, dass der Zugang zu den Spielen nicht von eben genannten Faktoren abhängt und, dass man auf die Einhaltung der Menschenrechte achtet. In diesem Sinne ist die Europameisterschaft die direkte Reaktion auf Katar.

Die Reaktionen darauf sind gemischt. Zum einen gibt es Leute, die meinen, dass man sich auf den Fußball konzentrieren sollte und nicht auf Fahrradstellplätze und Unisextoiletten. Zum anderen gibt es Personen, die meinen, dass dies vor allem nach den letzten großen Turnieren (Katar 2022 und Russland 2018) eine wichtige Botschaft gegen die aktuellen Entwicklungen im Länderfußball ist. Durch die vorgestellten Ideen soll erzielt werden, dass die angereisten Fans aus ganz Europa mit einem guten Bild von Deutschland abreisen, so wie zuletzt bei der Weltmeisterschaft 2006. Ob diese Europameisterschaft aber erneut ein Sommermärchen wird, ist nur leider noch nicht klar. Zumindest gibt es diesmal Chancen, die Gruppenphase zu überstehen.

Einblick in die Politik: Staatsministerin Sarah Ryglewski im Interview

Auf unserer Schülerzeitungsfahrt nach Berlin hatten drei unserer Redakteur*innen die Gelegenheit, Sarah Ryglewski zu interviewen. Frau Ryglewski ist Abgeordnete der SPD für unseren Wahlkreis Bremen 1. Außerdem ist sie als Staatsministerin für Bund-Länder-Beziehungen und nachhaltige Entwicklung beim Bundeskanzler tätig.

 

Schülerzeitung: Können Sie sich zu Beginn erst einmal vorstellen?

Sarah Ryglewski: Mein Name ist Sarah Ryglewski. Ich bin 41 Jahre alt, in Köln geboren und lebe seit 2002 in Bremen. Ich bin schon seit meiner Jugend politisch engagiert. Damals habe ich mich vor allem in der Kommunalpolitik, aber auch im Kampf gegen Rechts und für mehr Bildungsgerechtigkeit engagiert. So bin ich dann bei den Jusos und somit der SPD gelandet. Dort habe ich mich dann ehrenamtlich engagiert und so Juso-Landesvorsitzende geworden. 2011 wurde ich Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, und 2015 bin ich dann als Abgeordnete in den Bundestag eingezogen. Vier Jahre später wurde ich Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium, und daraufhin bin ich nach der Bundestagswahl im Jahr 2021 Staatsministerin im Bundeskanzleramt geworden.

Was hat zu Ihrem politischen Interesse geführt?

Ich bin in einem sehr politischen Elternhaus aufgewachsen und habe mich schon immer für Politik interessiert. Mein Vater war auch Mitglied in der SPD, und meine Eltern haben Wert darauf gelegt, dass meine Schwester und ich politische Zusammenhänge verstehen. Deshalb habe ich mir schon früh viele Gedanken zu politischen Themen gemacht. Mein politisches Engagement fing dann in meiner Jugend an. Zuerst habe ich mich im Bereich Umweltschutz politisch eingebracht, aber ich merkte schnell, dass mich Gerechtigkeitsthemen mehr beschäftigen. Ich habe mich deshalb damals zum Beispiel für einen besseren ÖPNV engagiert.

Was sind Ihre politischen Ziele und Schwerpunkte?

Da gibt es viele, zum Beispiel beschäftigen mich Gerechtigkeitsthemen sehr. Aber auch die Möglichkeit der politischen Mitgestaltung von Menschen vor Ort ist mir sehr wichtig und aus diesem Grund die Kommunalpolitik. In diesem Zusammenhang beschäftigt mich die Frage, ob die Kommunen finanziell gut genug ausgestattet sind, da hier die Leute am unmittelbarsten erfahren, ob sie in irgendeiner Weise Dinge in der Bürgerschaft oder im Beirat mitentscheiden können.

Gab es in Ihrer politischen Laufbahn etwas, das Sie besonders stark in Erinnerung haben?

Bisher hat mir alles, was ich gemacht habe, Spaß gemacht, auch weil alles sehr unterschiedlich war. Besonders mein Amt als parlamentarische Staatssekretärin fand ich sehr interessant, weil ich dort sozusagen als Bindeglied fungiert habe. Das bedeutet, ich habe einen Minister, insbesondere in den Ausschüssen, aber auch nach außen hin vertreten. Ich konnte dort vermitteln, was die Abgeordneten wollen, aber auch was die Regierung will. So kann man ziemlich viel gestalten. Gleichzeitig hatte ich, da ich damals weiterhin Parlamentarierin war, die Möglichkeit, viel von dem, was man vor Ort noch erlebt, in den Gesetzgebungsprozess mit einzubringen. Während Corona habe ich zum Beispiel viele Gespräche mit den Verbänden in Bremen geführt. Da haben mich häufig Leute aus dem Ministerium gebeten, bestimmte Themen in Berlin zu besprechen. Man merkt nämlich, wie lange es auf normalem Wege dauern kann, bis Themen dahin vordringen. Aber auch mein jetziges Amt finde ich sehr spannend, da ich jetzt sehr nah mit dem Bundeskanzler zusammenarbeite. Zum anderen finde ich die Regierungskoordination und die Vermittlung zum Parlament, aber auch die Arbeit mit den Bundesländern sehr interessant.

Warum hat Herr Scholz Sie für Ihr jetziges Amt vorgeschlagen? 

Ich kannte ihn schon aus der Zeit, als er Finanzminister war. Damals hat er als Nachfolger von Christine Lambrecht schnell eine Person gebraucht, die schon genügend Erfahrung hatte und die auch mitten in der Legislaturperiode als parlamentarische Staatssekretärin einspringen konnte. Weil ich diese Kriterien erfüllt habe, hatte sich das angeboten. Ich bekam dann einen sehr positiven Eindruck, da wir im Themenbereich Finanzen in bestimmten Punkten unterschiedliche Auffassungen hatten. Darüber haben wir uns sehr offen ausgetauscht. Über die zwei Jahre bis zu seiner Wahl als Bundeskanzler hatten wir eine sehr gute Zusammenarbeit, und dann fragte er mich 2021, ob ich mir vorstellen könnte, die Funktion als Staatsministerin beim Bundeskanzler zu übernehmen.

In welcher Weise steht Ihre Arbeit mit der Arbeit des Bundestags in Verbindung? 

Für das, was ich im Moment mache, muss man Bundestagsabgeordnete sein, weil ich beispielsweise die Bundesregierung im Ältestenrat vertrete. Das ist quasi die Regierung des Parlaments, wo zum Beispiel die Tagesordnung, aber auch Streitigkeiten besprochen werden. Da ist es gut, wenn man die parlamentarischen Abgeordneten kennt, weil man weiß, was die Fraktionen umtreibt. Auch wenn es um Gesetzgebung geht, führe ich mit den Fraktionen viele Gespräche, um zum Beispiel zu schauen, ob es Probleme gibt, die schon frühzeitig gelöst werden können. Für mich als Bremer Bundestagsabgeordnete ist es noch gut, dass ich schon vieles mitbekomme, was über meinen Schreibtisch geht. Auch wenn ich natürlich kein Bundesland bevorzugen darf, kann ich im Austausch dann schon den ein oder anderen Hinweis geben, der gut für Bremen ist.

 

Sie sind unter anderem für Nachhaltige Entwicklung zuständig. Was haben Sie in diesem Amt schon erreicht?

Ich bin dafür zuständig, Themen im Bereich Nachhaltige Entwicklung zwischen den einzelnen Ministerien zu koordinieren. Dieser Themenbereich erstreckt sich nämlich in ganz viele Bereiche, wie Umweltschutz, Wirtschaftspolitik, aber auch Entwicklungszusammenarbeit. Meine Aufgabe ist es, dass wir alles vernünftig miteinander koordiniert bekommen. Im Moment arbeiten wir zum Beispiel an der Entwicklung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Ich bin auch sehr stolz darauf, dass wir es schaffen, neben der ökologischen Dimension und dem Thema Klimaschutz auch die soziale Dimension, wie zum Beispiel Bildungspolitik, nach vorne zu stellen.

Was sind gerade die größten Herausforderungen in Ihrem Aufgabenfeld? 

Im Bereich Nachhaltigkeit ist es gerade die Aufstellung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Wir haben damit schon vor einem halben Jahr angefangen und sind im Moment dabei, das Ganze zu verschriftlichen. Ab April oder Mai können dann übrigens online auch Anregungen zu dem Thema eingebracht werden. Bis wir das alles zusammengebunden haben, wird es aber noch bis Herbst dauern. Da haben wir also noch ordentlich Arbeit vor uns. Tatsächlich ist im Moment aber meiner Meinung nach die größte Herausforderung die Frage der Klimaneutralität von Deutschland. Gerade wenn wir weniger abhängig von fossilen Brennstoffen sein wollen, muss sich in Deutschland noch eine Menge ändern.

Wollen Sie in Zukunft noch für andere Positionen kandidieren?

Ich habe in den letzten zehn Jahren gelernt, dass in der Politik nichts wirklich planbar ist. Ich achte eher darauf, dass ich mein jetziges Amt gut ausführe. Eigentlich hängt es sehr davon ab, ob es in dem Moment gerade passt, für eine bestimmte Position zu kandidieren.

Warum sollten junge Menschen der SPD beitreten oder sie wählen? 

Die Themen, die uns viel beschäftigen, sind jetzt noch sehr aktuell. Uns sind vor allem Themen zur Gerechtigkeit wichtig. Gerechtigkeit ist meiner Meinung nach das wichtigste Thema überhaupt, natürlich nicht nur Gerechtigkeit im Inland, sondern auch global, zum Beispiel in Bezug auf Entwicklungszusammenarbeit. Natürlich sind wir eine Partei, in der auch viele ältere Menschen aktiv sind, aber ich persönlich fand es immer ganz spannend, in meinen Ortsverein zu gehen, wo ich dann mit Leuten zu tun hatte, die 50-60 Jahre älter als ich waren, die mich ernst genommen haben, die ich aber auch ernst nehmen musste. Dieser Respekt war wichtig, um gemeinsam etwas erreichen zu können. Der Austausch zwischen Generationen war für mich etwas Besonderes, da dieser in meinem normalen Alltag eher selten möglich war.

Sie sind im Kampf gegen Rechts engagiert. Was sagen Sie zu den wachsenden AfD-Umfragewerten?

Wie viele andere, besorgt mich dies auch. Letztens veröffentlichte Correctiv die Enthüllungen zu dem Treffen in Potsdam. Auch wenn man sich Bundestagsdebatten anschaut, ist dieses Treffen keine Überraschung. Die AfD ist eigentlich schon immer sehr offen damit umgegangen, dass laut ihrer Auffassung bestimmte Menschen, wie beispielsweise Ausländer, Homosexuelle und Trans-Menschen, nicht zu diesem Land gehören. Es bedrückt mich, dass manche Leute das offensichtlich gut finden. Es ist auch ganz wichtig zu betonen, dass jeder, der die AfD wählt, rechts wählt. Auch wenn sicherlich nicht jeder von diesen Menschen rechts ist, dürfen sie sich nicht vor dieser Tatsache verstecken.

Sie arbeiten hier in Berlin, leben aber in Bremen. Wie oft sind Sie in Berlin? 

Also, wenn Sitzungswoche ist, bin ich eigentlich immer hier in Berlin. Seitdem ich im Kanzleramt bin, bin ich auch, wenn keine Sitzungswoche ist, mehrere Tage in Berlin. Das kann man aber nicht genau sagen. Ich versuche aber immer mindestens einen Werktag die Woche in Bremen zu sein, um Termine im Wahlkreis zu machen, aber natürlich auch, weil mein Mann und ein Teil meiner Familie dort leben.

Welche Stadt mögen Sie lieber, Berlin oder Bremen?

Ich mag beide Städte total gerne. Ich habe eigentlich drei Städte, an denen mein Herz hängt, das sind Bremen, Berlin und Köln. Ich mag die alle unterschiedlich. Köln ist die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, und gerade den Rhein finde ich sehr schön. In Bremen ist es ähnlich. Dort bin ich quasi erwachsen geworden, die meisten meiner Freunde leben in Bremen, und ich finde es immer noch toll, diese Stadt in Berlin vertreten zu dürfen. Berlin ist dann wieder ganz anders. Ich habe das Glück, im Gegensatz zu anderen Abgeordneten, hier nicht nur zum Arbeiten herzukommen. Ich habe nämlich auch hier einige Freunde, und auch ein Teil meiner Familie lebt in dieser Stadt. Ich sehe es als Privileg, gleich drei tolle Städte zu haben, in denen ich mich so ein bisschen zu Hause fühle.

Vielen Dank für das Interview.

 

 

Schüler veranstalten Podiumsdiskussion zur Europawahl

Am 30.05.2024 fand am Gymnasium Horn im Rahmen einer Reihe von Veranstaltungen zur  Vorbereitung auf die Europawahl am 9. Juni eine Podiumsdiskussion statt. Eingeladen waren Annika Barlach (SPD), Eyfer Tunc (CDU), Elias F. Michels (FDP), Alexandra Werwath (Grüne) und Lucas Fiola (Linke). 

Nach einem kurzen Einstieg, der thematisch zunächst die Organe der EU erklärte, startete die  Debatte mit der Rolle der AfD im Wahlkampf. Während sich hier eine große Einigkeit der Parteien  feststellen ließ, bildeten sich bei den Themenblöcken Migration, Rüstung und Wirtschaft starke  Unterschiede heraus. Die AfD stellt in den Augen der Kandidaten eine große Gefahr für Europa  und die deutsche Außenpolitik dar. Doch wie soll die Außenpolitik in Zukunft genauer aussehen?  Themen wie Aufrüstung, Frontex und die Abhängigkeit von Amerika wurden diskutiert. Auch wenn im Nachgang unterschiedliche Resonanzen bezüglich der rhetorischen Stärke der  Kandidaten im Einzelnen eingingen, gilt ein Dank allen Kandidaten, die sich die Zeit für die  Diskussion genommen haben.

Organisiert und durchgeführt wurde die Podiumsdiskussion von Schülern der Q1 (Sophia Beer,  Jannik Kartscher, Duru Akkis und Erik Wolters)

Konsens des Organisationsteams ist dabei die Botschaft: Geht wählen!

 

Der Dexit ist KEINE Alternative für Deutschland!

Lange war es selbst innerhalb der Reihen der AfD umstritten. War man als Antieuropäer auch für einen Dexit? Nun gehört der Austritt aus der europäischen Union längst dem Wahlprogramm der Alternative für Deutschland an. So äußerte sich erst Anfang dieses Jahres die AfD-Vorsitzende Alice Weidel in der Financial Times für einen deutschen Rückzug aus der EU. Daraufhin hagelte es ordentlich Kritik von den demokratischen Parteien. Laut ihnen gleiche ein Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union einem Selbstmordkommando. Doch wieso braucht Deutschland die EU und warum gefährdet die AfD durch ihre Dexit-Propaganda die Stabilität unseres Landes?

Der Begriff Dexit setzt sich wie der britische Brexit aus „Deutschland“ und „Exit“, also Austritt, zusammen. Der AfD zufolge beschränke die Europäische Union die Handlungsfähigkeit und Souveränität Deutschlands. Souveränität bezieht sich historisch auf den Nationalstaat und dessen Anspruch, unabhängig und nur dem eigenen Willen unterworfen zu sein. Seit der Gründung der EU setzen die Mitgliedstaaten auf eine „europäische Souveränität“. Die Mitgliedstaaten streben stets gesamteuropäische Lösungen an und angesichts der zunehmenden Konkurrenz hinsichtlich der Großmächte wie China oder den USA ist es für die Mitgliedstaaten von Vorteil. Die AfD-Parole einer eingeschränkten Handlungsfähigkeit ist faktisch falsch. Gerade durch die EU wird diese sogar erhöht.

Die Wissenschaft ist sich einig: die Folgen eines Dexits wären für Deutschland fatal. Erstens ermöglicht uns der europäische Binnenmarkt das große Ausmaß an Export. Ohne die EU würde es mit unserem Handel demnach bergab gehen. Zweitens leidet Deutschland bereits unter einem Fachkräftemangel. Ohne die Mitgliedschaft in der EU würden die Einwanderungsregeln verschärft werden und das Fachkräfteproblem vergrößert. Drittens würde Deutschland nach dem Dexit wirtschaftlich abhängiger werden von anderen wirtschaftsstarken Nationen wie China oder den USA. Außerdem würde Deutschlands Austritt aus der Europäischen Union Wladimir Putin weiter stärken und ihn ermutigen, seine Expansionsfantasien auf die europäischen Länder auszuweiten.

„Die AfD-Position ist nicht nur populistisch und widersprüchlich, sondern sie würde das Ende von Wohlstand und Autonomie Deutschlands bedeuten.“

Marcel Fratzscher, Präsident des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

Bereits ein Blick nach Großbritannien müsste genügen, um zu erkennen, wie schnell es mit einem Staat nach einem EU-Austritt abwärts gehen kann. Großbritannien hat auch vier Jahre nach dem Brexit noch mit den Wirtschaftsfolgen zu kämpfen. Seit dem 1. Januar 2021 ist das Land auch nicht mehr Mitglied der EU-Zollunion oder des Binnenmarktes. Dadurch kam es vor allem zu Beginn teils zu erheblichen Verzögerungen im Handel. Doch auch heute noch fehlt es infolge des Brexits etwa an Medikamenten. Zudem ist die wirtschaftliche Leistung Großbritanniens seit jeher um sechs Prozent gesunken. Umgerechnet kostet das Großbritannien jährlich ganze 163 Milliarden Euro.

Nicht zu vergessen ist, wie viel schwerer unser Alltag als deutsche Bürger werden würde. Aktuell dürfen wir dank der europäischen Mitgliedschaft frei innerhalb der EU reisen und haben auch einen Anspruch auf Studienplätze in einem anderen Mitgliedstaat. Ein Leben ohne die Europäische Union wäre dementsprechend mehr als nur ein totales Downgrade.

Eröffnung des ersten Arisierungs-Mahnmals in Deutschland

„Tempo“ oder „Kühne + Nagel“ und Arisierung, wo ist da der Zusammenhang?

In Bremen wurde am 10. September 2023 ein Denkmal zur „Arisierung“ eingeweiht. Deutschlandweit handelt es sich um das Erste seiner Art. Doch was bedeutet das Wort Arisierung?

Arisierung wird abgeleitet von dem Wort „Arier“, welches Herrenrassen oder auch Entjudung1 bedeutet und sich auf den Prozess der Ausbeutung und Verdrängung von Jüdinnen und Juden aus der Wirtschaft, ihren Wohnorten und Deutschland bezieht. Die Juden wurden hierbei von Nationalsozialisten dazu gedrängt, ihre Eigentümer, Wertgegenstände, Aktien sowie Immobilien für kleine Geldbeträge an „Deutsche“ abzutreten. Die Wohnungen und Häuser von geflohenen oder deportierten Juden – damals sogenannte „unbewachte jüdische Wohnungen” – wurden ebenfalls geplündert. Die Aktion wurde von den Nationalsozialisten als „Aktion M“ bezeichnet, wobei das „M“ für Möbel stand. Nutzen von dieser Aktion hatten die damaligen Bürger, die sich zum Beispiel an Immobilien, Möbeln und Aktien bereicherten. Die Speditionsunternehmen, die hauptsächlich für die Lagerung und den Transport der Möbel zuständig waren, konnten durch  die „Aktion M” großen Profit generieren. Ein gutes Beispiel dafür stellt die bremische Firma „Kühne + Nagel“ dar. Ihr internationaler Erfolg geht unter anderem auf die Ausbeutung während der NS-Zeit zurück. Genauso waren etliche staatliche Einrichtungen an dem Gewinn beteiligt, da sie ohnehin die Initiatoren und Koordinatoren der „Aktion M“ waren.

Arisierung: Wie viel ist bekannt?

Jüdische Unternehmer mussten während des Nationalsozialismus ihre Firmen verkaufen, da sie sonst schwerwiegende Sanktionen zu befürchten hatten. Heutzutage verschweigen jedoch unzählige Unternehmen ihre Vorgeschichte und schreiben nur beschönigende Worte zu ihrer Unternehmensgeschichte während der NS-Zeit. Beispielsweise berichtet das Papiertaschentücher-Unternehmen „Tempo“ auf seiner Homepage zu den Jahren 1935 bis 1950 von „[…] bereits 150 Mio. [produzierten] Tempo Taschentücher […], Ende der Dreißiger Jahre waren es sogar 400 Mio. Stück.“ Verschwiegen wird hier, dass sechs Monate nach der Machtübernahme Adolf Hitlers der Patentinhaber des Papiertaschentücher-Unternehmens Oskar Rosenfeld grundlos von der NSDAP vorgeladen und zu einer Geldstrafe von 12.000 Reichsmark verurteilt wurde. Dies ist auch kein Einzelfall geblieben. Oft wurden Juden aus kleinen sowie großen Unternehmen systematisch sanktioniert und gedrängt, ihr Unternehmen dem NS-Regime zu überlassen. Auch wenn diese Tatsachen den heutigen Unternehmen bekannt sind, verlieren manche in ihrer Unternehmensgeschichte oft kein Wort darüber. Wie auch? Wenn Informationen zur Verwicklung der Unternehmen mit dem NS-Regime immer noch unter Verschluss gehalten werden. Daher ist es der Öffentlichkeit nicht möglich, sich selbst ein Bild zu machen. So ist es nicht verwunderlich, dass das Ergebnis eine lückenhafte Geschichte ist.

In einem Interview mit der Schülerzeitung bei der Einweihung des Mahnmals in Bremen erklärt der Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte in Bezug auf die fehlende Information zur Verantwortung der Unternehmen zum Thema Arisierung mit der folgenden Ansicht: „Es kann sein, dass Unterlagen, wie es bei vielen Vorgängen und Verbrechen in der Nazi-Zeit war, bewusst vernichtet wurden oder im Krieg zerstört wurden“. Er fügt hinzu: „Vielleicht ist es aber auch so, dass man noch intensivere Forschungsarbeit braucht, damit man die entsprechenden Dokumente findet und für die Öffentlichkeit zugänglich macht.”

Der stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bremen, Dr. Grigori Pantijelew, unterstreicht die Problematik der Aufklärung über die Arisierung. Diese sei noch nicht fortgeschritten genug, da es eine „sehr komplizierte Verknüpfung zwischen persönlicher und behördlicher Verantwortung ist“. Herr Dr. Pantijelew wünscht sich daher ein Vorbild, jemand, der/die den ersten Schritt wagt und zu Verantwortung des Unternehmens steht. „[Der] erst beste Mann, der dafür geeignet ist […]“ wäre seiner Meinung nach Herr Kühne, dieser könnte im Gegensatz zu seinem Schweigen für Frieden in Bezug auf das Thema Arisierung sorgen.

Bremen und Arisierung, wo ist da der Zusammenhang?

Das Land Bremen hat während der Zeit des Nationalsozialismus eine aktive Rolle zur Arisierung übernommen, da sie gleichzeitig über einen Hafen verfügt und von Haus aus eine Logistik-Stadt ist. Damals wie heute hat das drittgrößte Logistikunternehmen der Welt, Kühne + Nagel, einen Sitz in Bremen und während des Nationalsozialismus wahrscheinlich sehr von der Arisierung profitiert. Das Bundesland hatte daher eine zentrale Rolle bei dem Abtransport der westeuropäischen jüdischen Eigentümer. Genaue Auskünfte dazu gibt das Unternehmen nicht bekannt. Des Weiteren bekennt es sich nicht zu seiner schwierigen Geschichte, denn auch Kühne + Nagel hat vor dem Nationalsozialismus einen jüdischen Anteil gehabt. Adolf Maass (geboren 9. Oktober 1875 in Borgholzhausen; gestorben vermutlich Anfang 1945 in Auschwitz) verfügte über einen Aktienanteil von 45%. Er wurde jedoch aus dem Unternehmen gedrängt und 1942 deportiert, sein Tod folgte circa 1945 im Konzentrationslager Auschwitz.

Welche Rückschlüsse können wir daraus ziehen?

Die letzten Zeitzeugen werden in den kommenden Jahren nicht mehr da sein, um uns an das Geschehene zu erinnern. Doch die Geschichte ist und bleibt ein Teil von uns. Wenn wir uns als Gesellschaft in Deutschland nicht mit ihr befassen, dann fehlt uns etwas. Uns sollte bewusst werden, dass die Vergangenheit wertvolle Lektionen lehrt. Indem wir sie ignorieren, machen wir sie nicht ungeschehen. Ein Grund mehr, uns mit unserer Geschichte zu befassen und Lehren aus ihr zu ziehen. So können vergangene Fehler vermieden werden und Vorurteile verschwinden – fast von selbst.

Was wäre das für eine Gesellschaft!? Vielleicht eine, bei der ein Polizeiaufgebot, wie es bei der Einweihung des Mahnmals zur Arisierung in Bremen, überflüssig wäre.

 

1. Das Wort Entjudung sollte nicht verwendet werden, da es zum NS-Vokabular gehört.

Stopp des Zigarettenverkaufs für zukünftige Generationen

In Großbritannien wurde gerade ein neuer Plan von dem Prime-Minister vorgeschlagen. Dieser schlug vor, Menschen, die nach 2008 geboren wurden, niemals an das Rauchen heranzuführen. Das würde durch eine annuale Erhöhung der Altersbeschränkung erreicht werden. Doch was sind die Risiken einer solchen Beschränkung, gibt es Erfolgschancen und würde sich so ein Vorgehen nicht auch für Deutschland anbieten?

 

Die Risiken

Das Hauptrisiko ist, dass so ein Nährgrund für einen florierenden Schwarzmarkt geschaffen wird. In Bhutan wurde 2004 Rauchen illegalisiert (bis auf kleine Mengen, auf welche eine 100 % Steuer erlegt wurde). Die Folge davon war, dass sich ein Schwarzmarkt bildete und selbst unter den Jugendlichen im Jahr 2006 nur 10,6 % noch keine Tabakwaren konsumiert hatten, welche von jenem Schwarzmarkt vermarktet wurden. (Q1)

Ist so ein Vorhaben überhaupt durchsetzbar, wie stehen die Chancen?

Häufig wird als Argument gegen eine Tabakbeschränkung die hohen Steuereinnahmen genannt, welche doch einen positiven Effekt auf Deutschland haben. Doch, ist dem wirklich so? Laut einer Studie von Tobias Effertz (Universität Hamburg) aus dem Jahr 2018 betragen die direkten Kosten des Staates durch Tabakwaren 30,23 Milliarden Euro (davon 27,31 in medizinischen Kosten) hierbei wurden die Steuereinnahmen von 14,3 Milliarden Euro schon gegengerechnet. (Q2)

Deutschlands Lage in der Diskussion

In der Europäischen Union sind Zigaretten relativ stark versteuert, laut der EU müssen Mitgliedsstaaten einen Steuersatz von circa 60 % des Kaufpreises erheben, diese 60 % werden von Deutschland um 9,3 % überstiegen, was aber im Vergleich zu der restlichen EU relativ gering ist. (Q3 & Q4). Deutschland bewegt sich momentan in die Richtung gegen Tabak, so wurde 2020 die Außenwerbung von Tabakprodukten illegalisiert (außer an sogenannten “Points of Sales” (Orte, welche Tabak vermarkten)) (Q5), aber Deutschland ist noch sehr weit von einem Verkaufsstopp entfernt, auch wenn die Anzahl an Rauchern stetig sinkt. Deutschland hat im globalen Vergleich relativ viele Raucher, so lag der Prozentsatz von Rauchern in Deutschland bei 23,8 % leicht über dem globalen Durchschnitt von 22,3 %. (Q6 & Q7)

Die Tabakindustrie Deutschlands

Die Tabakindustrie in Deutschland hat einen Gesamtumsatz von 12,4 Mrd. Euro erwirtschaftet (Q8), die Giganten in der deutschen Industrie sind die US-amerikanische Altria-Tochter Philip Morris (Marlboro, L&M), die deutsche Imperial-Tobacco-Tochter Reemtsma (R1, West, Gauloises) und der britische Hersteller British American Tobacco (Lucky Strike, HB, Pall Mall), welche sich über 80 Prozent des Marktes teilen. Auch hat Deutschland Tabakwaren im Wert von 3,13 Milliarden im Jahr 2021 exportiert und Waren im Wert von 3,32 Milliarden importiert (Q9).

 

Quellen

Q1: https://cdn.who.int/media/docs/default-source/ncds/ncd-surveillance/data-reporting/bhutan/bhu_gyts_report_2006.pdf?sfvrsn=da72987_1&download=true

Q2: https://www.bundestag.de/resource/blob/765190/19cef3f721d1f7b9a02a24b437e64d86/02-Effertz-data.pdf

Q3: https://taxation-customs.ec.europa.eu/taxation-1/excise-duties/excise-duties-tobacco_de

Q4: https://taxfoundation.org/data/all/eu/cigarette-tax-europe-2023/

Q5: https://www.bundesdrogenbeauftragter.de/presse/detail/bundesrat-beschliesst-verbot-der-tabakaussenwerbung/

Q6: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/r/rauchen#:~:text=In%20Deutschland%20rauchen%20insgesamt%2023,in%20der%20Raucherquote%20zu%20beobachten.

Q:7 https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/tobacco#:~:text=Around%2080%25%20of%20the%20world’s,(WHO%20FCTC)%20in%202003.

Q8: https://de.statista.com/themen/45/tabak/

Q9: https://oec.world/en/profile/bilateral-product/tobacco-substitutes-424/reporter/deu?redirect=true

 

 

Kleben und kleben lassen?

Jeder kennt sie, denn kaum jemand vor ihnen wurde allein durch Sekundenkleber verurteilt. Die letzte Generation ist für ihre Proteste durch Straßenblockaden oder das Beschmieren öffentlicher Kulturgüter bekannt. Das Bündnis aus deutschen und österreichischen Klimaaktivisten wurde erstmals durch die BILD-Zeitung als „Klimakleber“ abgestempelt – ein Name, der sich europaweit bewahren sollte. Wieso sind die Klimakleber jedoch problematisch? Kämpfen sie nicht etwa für einen guten Zweck?

Der Name der letzten Generation soll betonen, dass diese Generation die letzte ist, die gegen die Klimakrise noch etwas bewirken kann. Die letzte Generation führt ihre Proteste in Form von zivilem Ungehorsam aus. Vereinfacht gesagt: Sie wollen ihre Anliegen friedlich und gewaltlos an die Öffentlichkeit tragen. Darunter verstehen sie das Festkleben auf befahrenen Straßen oder Flughäfen, um den Verkehr zu blockieren. Darüber, ob solche Aktionen friedlich und nicht etwa terrorisierend gegenüber dem normalen Bürger sind, lässt sich streiten. Laut einer Umfrage empfindet nur ein Achtel der deutschen Bürger die Klebe-Aktionen der letzten Generation als gerechtfertigt. Die Klimakleber selbst äußerten, dass ihnen das Kleben keinen Spaß mache, jedoch erachten sie es als notwendig, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen.

So fordert dieses Bündnis der Klimaaktivisten von der Regierung folgendes: das Einhalten des Pariser Übereinkommens und das 1,5-Grad-Ziel. Außerdem wünschen sich die Klimakleber die Gründung eines sogenannten „Gesellschaftsrats“.

Dieser Gesellschaftsrat soll sich an dem existierenden Bürgerrat orientieren und sich aus 160 Bürgern und Bürgerinnen zusammensetzen. Auf der Webseite der letzten Generation wird die Zusammensetzung folgendermaßen beschrieben: „Er setzt sich aus zufällig gelosten Menschen zusammen, die die Bevölkerung Deutschlands nach Kriterien wie Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss und Migrationshintergrund widerspiegeln sollen.“

Ein derartiger Gesellschaftsrat würde einige neue Problematiken eröffnen. Der Soziologe Dieter Rucht spricht in einem Gastbeitrag in der Zeit von purem Idealismus. Deutschland sei ein souveräner Staat, wodurch die Ergebnisse des Gesellschaftsrats rasch abgelehnt werden könnten – er könnte rein gar nichts bewirken. Außerdem soll dieser Gesellschaftsrat aus der Kasse des Bundestags finanziert werden. Dadurch würde die Politik mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit großen Einfluss auf die Entscheidungen ausüben. Das Ziel von bürgerlicher Partizipation wäre verfehlt. Des Weiteren würden die meisten der ausgelosten Menschen die Teilnahme höchstwahrscheinlich ablehnen, weil sie bereits durch ihren Beruf und ihr Privatleben ausreichend um die Ohren haben. Nicht zu vergessen, dass 160 Bürger und Bürgerinnen nicht als repräsentativ für über 80 Millionen Menschen gelten können.

Eine einzige Klima-Klebe-Aktion nimmt mehrere Stunden in Anspruch, da die Polizei jedes Mal erscheinen muss. Dadurch wird auch der Verkehr sehr lange aufgehalten. Genervte Stimmen in den sozialen Medien und in der Gesellschaft fordern, dass die Klimakleber, einfach kleben gelassen werden sollen. Sie entscheiden sich dazu, sich festzukleben, dann müssen sie auch mit den Konsequenzen leben. Viele wissen nicht, dass die Polizei verpflichtet ist, die Klimakleber vor potenziellen Gefahren zu schützen. Zu solchen Gefahren zählen Angriffe, gesundheitliche Schäden durch extreme Temperaturen und das An- und Überfahren werden. Kleben lassen wäre demnach ordnungswidrig.

Vor rechtlichen Konsequenzen können die Klimakleber nicht geschützt werden. In Bayern folgt auf Straßenblockaden mehrtägige Präventivhaft. Allgemeingültig können wegen des Klebens sowohl Freiheitsstrafen als auch Geldstrafen verhängt werden.

Der Zweck der Klebe-Proteste ist selbstverständlich richtig, jedoch erreicht die letzte Generation das Gegenteil von einem stärkeren Umwelt- und Klimabewusstsein. Wer will sich denn noch für das Klima einsetzen, wenn die Aktivistenbündnisse sich entweder, wie Fridays for Future, an der Seite der Terroristengruppe der Hamas positionieren oder die Bürger während eines stressigen Arbeitstages durch Sekundenkleber belästigen? Eins steht fest: Klimaaktivismus geht anders, denn unsere Demokratie lässt sich nicht erpressen!