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Der Pygmalion-Effekt – Wie Erwartungen den Fortschritt formen

Die Erwartungen, die wir selbst und andere an uns stellen, nehmen Einfluss auf unser Handeln und die von uns erbrachte Leistung. Welche Auswirkungen hat der sogenannte Pygmalion-Effekt auf Schüler?

1965 führten Robert Rosenthal und Lenore Jacobson, zwei US-amerikanische Psychologen, ein Experiment durch, bei dem sie Grundschulkindern einen IQ-Test gaben und dann ihre Lehrer darüber informierten, welche Kinder durchschnittlich und welche Kinder „Aufblüher“ sein würden. Letzteres bezeichnet die zwanzig Prozent der Schüler, die ein „ungewöhnliches Potenzial für intellektuelles Wachstum“ zeigten. Daraufhin richteten die Lehrer ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Aufblüher, da sie von den Durchschnittskindern nicht zu viel erwarteten. Sie schufen ein angenehmeres Umfeld für die Aufblüher; sie schenkten ihnen mehr Zeit und Aufmerksamkeit, forderten sie häufiger auf, Antworten zu geben, und gaben ihnen ein ausführlicheres Feedback, wenn sie etwas falsch machten. Was die Lehrer jedoch nicht wussten war, dass die Aufblüher nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden und dieses Kriterium möglicherweise nicht erfüllten.

Dies ist eine der bekanntesten Studien über eine der Unterarten der sogenannten selbsterfüllenden Prophezeiungen”. Eine selbsterfüllende Prophezeiung ist eine Vorhersage, die ihre Erfüllung selbst bewirkt. Kurz gesagt, eine falsche Realität könnte aufgrund der psychologischen Reaktionen der Menschen auf Vorhersagen, Ängste und Sorgen im Zusammenhang mit der Zukunft tatsächlich zur Wahrheit werden. Ein wesentlicher Mechanismus ist: Menschen glauben an die Vorhersage. Deswegen agieren sie so, dass sie sich erfüllt. Es kommt zu einer positiven Rückkopplung zwischen Erwartung und Verhalten.

Die besondere Art der selbsterfüllenden Prophezeiungen, die hier untersucht wurde, heißt Pygmalion-Effekt”. Er ist nach dem griechischen Mythos von Pygmalion benannt, dem Künstler, der sich so sehr in die von ihm geschaffene, perfekte Statue verliebte, dass diese zum Leben erwachte. Nach dem Pygmalion-Effekt werden die von den Lehrern an die Schüler gestellten Erwartungen von den Schülern verinnerlicht und werden Teil ihres Selbstkonzepts, und sie handeln entsprechend ihrer inneren Überzeugungen über sich selbst.

Die Ergebnisse des Experiments bestätigen diese These. Als Rosenthal und Jacobsen nach acht Monaten die Intelligenz der Kinder erneut untersuchten, zeigten die Ergebnisse, dass die IQ-Werte der Aufblüher deutlich stärker gestiegen waren als die der Durchschnittsschüler, obwohl diese akademischen Aufblüher nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden waren. Die Aufblüher hatten im Durchschnitt zwei IQ-Punkte mehr im sprachlichen Ausdrucksvermögen, sieben Punkte mehr im logischen Denken und vier Punkte mehr im Gesamt-IQ. Das Experiment zeigte, dass die Erwartungen der Lehrer wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung wirkten. Die Erwartungen der Lehrer hatten die Art und Weise verändert, wie die Kinder behandelt wurden, und dies hatte Auswirkungen auf ihre Fähigkeiten.

Diese Ergebnisse konnten auch bei Studenten repliziert werden. Studien, die in Algebra-Klassen an der Air Force Academy, bei Studenten der Ingenieurwissenschaften und an vielen anderen Universitäten durchgeführt wurden, bestätigten diese Ergebnisse. Sie kann auch am Arbeitsplatz beobachtet werden, wenn eine leitende Person ihre Erwartungen an die Leistung der Arbeitnehmer erhöht und dies tatsächlich zu einer Steigerung der Leistung der Arbeitnehmer führt.

Der Pygmalion-Effekt zeigt sich auch in unserem Schulsystem. Die Ergebnisse der Klassenarbeiten können den Erfolg eines Schülers in einem Fach stark beeinflussen, obwohl sie eigentlich nichts darüber aussagen. Die Klassenarbeiten messen oft nicht, wie gut ein Schüler in einem Fach ist, sondern wie gut der Schüler sich Informationen merken und sie in einer bestimmten Zeitspanne entsprechend anwenden kann. Jedoch haben viele andere Aspekte dabei einen Einfluss. Vielleicht kann der Schüler sich Informationen nicht gut merken, aber sie gut anwenden, wenn sie vorhanden sind. Vielleicht ist der Schüler gestresst, wenn er eine Aufgabe in kurzer Zeit erledigen muss, und vergisst deshalb Informationen in der Klassenarbeit. Vielleicht ist der Schüler mündlich immer sehr gut, aber kann sich schriftlich nicht so gut ausdrücken. Das sind Aspekte, die komplett unabhängig von dem Erfolg eines Schülers in einem Fach sind, jedoch den Erfolg in einer Klassenarbeit stark beeinflussen.

Dadurch bekommen Schüler oft Noten, die ihrem Potenzial gar nicht entsprechen, und die auch beeinflussen, wie sie von anderen Schülern und Lehrern betrachtet werden. Das kann dazu führen, dass diese Schüler nie ihr Potenzial erreichen, weil andere und sie selbst glauben, dass sie einfach nicht gut in dem Fach sind. Andererseits führt es auch zu Schülern, die ihr Selbstkonzept an die Fächer binden, in denen sie gut sind, was dann Selbstzweifel und sogar eine Identitätskrise riskiert, falls sie eine schlechte Note in diesem Fach bekommen. Dies kann bereits in der Grundschule beginnen, wo sich Lehrer und Eltern aufgrund ihrer schulischen Erfolge eine Meinung über die Schüler bilden, was oft unbewusst passiert, aber trotzdem den Erfolg eines Schülers stark beeinflusst.

Was könnte man also tun, um die negativen Folgen des Pygmalion-Effekts zu verringern und ihn zu Nutze machen, um die Schüler positiv zu beeinflussen? Man kann mehr Klassenarbeiten schreiben, die weniger Wert haben, Schüler, Lehrer und Eltern können über solche Effekte und ihre Folgen informiert werden, sodass negative Folgen möglichst verringert werden, und Lehrer und Eltern können positives und konstruktives Feedback und Unterstützung geben. Es gibt viele Möglichkeiten, es liegt nun an uns, sie zu verwirklichen.

 

Quellen:

https://www.simplypsychology.org/self-fulfilling-prophecy.html

https://en.wikipedia.org/wiki/Pygmalion_effect#:~:text=Rosenthal%20and%20Jacobson%20held%20that,leading%20to%20self%2Dfulfilling%20prophecy

https://www.sciencedirect.com/topics/psychology/self-fulfilling-prophecy#:~:text=Self%2Dfulfilling%20prophecy%2C%20also%20known,the%20prophesied%20or%20expected%20behavior

https://www.oppidaneducation.com/blog/the-pygmalion-effect-how-expectations-sculpt-progress